Populismus in unseren Tagen
Am Ende des Jahres 2016 konnte man den Eindruck gewinnen, dass etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt, wie 1989, als die Mauer fiel. Die Bundeskanzlerin glaubt, die Welt sei aus den Fugen geraten. Mindestens jedoch stimmt, dass unser politisches System und vor allem die Politiker unter Druck geraten sind. Viele Bürger fühlen sich nicht sicher. Es gibt eine nicht unerhebliche, noch wachsende Minderheit, die das Gefühl hat, nicht gehört und nicht ausreichend wertgeschätzt zu werden. Sie hat Angst vor dem Fremden, die in Wut und Hass umschlägt, gerade auch gegen den Islam, wobei der Islamismus tatsächlichen zu einer Bedrohung geworden ist. Auch sonst in Europa und in den USA steht die Kritik an der politischen Klasse hoch im Kurs.
Dazu passt, dass „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gewählt wurde. Es kommt hiernach nicht entscheidend auf Tatsachen an, Gefühle sind maßgebend. Immer größere Bevölkerungsschichten sind aus Widerwillen gegen „die da oben“ bereit, Tatsachen zu ignorieren oder sogar Lügen zu akzeptieren. Realität ist das, was man empfindet.
Diese Situation greifen die sogenannten Populisten auf. Sie befürworten die Utopie einer homogenen Gesellschaft, in der alles Fremde und Andersartige getilgt ist. Sie haben nur einfache Lösungen und behaupten, den Willen des Volkes zu kennen und ihm zu dienen. Sie konstruieren einen Gegensatz zwischen Volk und Establishment. Es gibt aber keinen übereinstimmenden Willen des Volkes, der von allen geteilt wird, das ist Unsinn, sondern nur eine Vielzahl von unterschiedlichen Einzelwillen. Das Gerede vom Volkswillen erinnert an Jean-Jaques Rousseau, der die Volenté générale entwickelt hat, ein Gemein- oder Gesamtwille der staatlichen Gemeinschaft, der für jeden verbindlich sei. Teilinteressen sind nach Rousseau der größte Feind der sozialen Harmonie. Er wird zu Recht als Vorläufer totalitärer Systeme gesehen, die auch behaupten, den wahren Volkswillen zu verwirklichen und dem allgemeinen Wohl zu dienen. Die Volonté générale ist eine gefährliche Utopie, ebenso wie die Vorstellung eines übereinstimmenden Volkswillens.
In unserem Land sollte auch in Zukunft Vielfalt auf der Basis der Menschen- und Bürgerrechte mit der Freiheit im Mittelpunkt erhalten bleiben. Das drückt auch unsere großartige rheinische Toleranz aus: „Jeder Jeck ist anders“ - und das soll er auch bleiben.
Den Populisten könnten Politik und Medien am besten begegnen, wenn sie die Sorgen und Ängste ernst nehmen und die Unzufriedenen nicht herabwürdigen. Und wenn sie der Herausforderung der Flüchtlingskrise möglichst parteiübergreifend mit klaren Beschlüssen begegnen, die dann aber auch durchzuführen wären. Der Staat muss wieder erfahrbar sein, er muss für Sicherheit, Ordnung, für bessere Schulen und gute Infrastruktur sorgen, es genügt nicht, Probleme nur zu benennen.
Auf der anderer Seite gehört es zur weltoffenen Gesellschaft, Meinungen zu tolerieren, mit denen man nicht übereinstimmt, auch wenn sie den Tugendpfad des politisch Korrekten verlassen, sofern sie sich im Wertesystem des Grundgesetzes bewegen. Die Forderung nach politischer Korrektheit ist sicher gut gemeint, darf sich aber nicht zum gesellschaftlich sanktionierten Maulkorb entwickeln. Die Demokratie sehe ich durch die Populisten nicht in Gefahr, auch wenn sie die sogenannten etablierten Parteien herausfordern. Das wird unsere Demokratie aushalten."
Mit freundlicher Genehmigung aus "das tor"/02/2017 der Düsseldorfer Jonges von Siegmar Rothstein
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