"Die Nacht verging ohne jede Störung und am Morgen erhielten wir abermals ein Lamm, das wie das am vorigen Abend zubereitet wurde. Dann kam der Melik herbei, um uns zum Aufbruch aufzufordern. Schon während der Nacht waren einige Gruppen der Chaldäer aufgebrochen und so war unsere Begleitung nicht so zahlreich wie am vorigen Tag. Wir ritten vom Abhang des Gebirges in das hier sehr breite Tal des Sab hernieder. Fruchtfelder gab es hier gar nicht. Höchstens sah man in der Nähe eines einsamen Weilers ein wenig Gerste ihren Halm erheben.
Der Boden ist außerordentlich fruchtbar, aber die ewige Unsicherheit benimmt den Bewohnern die Lust, eine Ernte für ihre Feinde heranzuziehen. Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Walnusswäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Frische gediehen, wie sie sonst nicht häufig anzutreffen sind. Wir hatten eine Vor- und eine Nachhut und wurden von dem Haupttrupp ringsum eingeschlossen. Mir zur Rechten ritt der Bej und zur Linken der Melik. Dieser aber sprach nur wenig; er hielt sich bei uns jedenfalls nur des Bejs wegen auf, der ein kostbarer Fang für ihn war und den er nicht aus dem Auge lassen wollte.
Höchstens eine halbe Stunde hatten wir noch bis Lisan zu reiten, als uns ein Mann entgegenkam, dessen Gestalt sofort in die Augen fallen musste. Er war von einem wirklich riesigen Körperbau und auch sein kurdisches Pferd gehörte zu den stärksten, die ich jemals gesehen hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhosen und einer Jacke aus demselben leichten Stoff. Ein Tuch bedeckte anstatt des Turbans oder der Mütze seinen Kopf und als Waffe diente ihm eine alte Büchse, die jedenfalls nicht orientalischen Ursprungs war. Hinter ihm ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die in dienstlichem Verhältnis zu ihm zu stehen schienen.
Er ließ die Vorhut an sich vorüber und hielt dann bei dem Melik an. „Sabbah’l kher – guten Morgen!“, grüßte er mit volltönender Bassstimme. „Sabbah’l kher!“, antwortete ihm auch der Melik. „Deine Boten“, fuhr der Ankömmling fort, „sagten mir, dass ihr einen großen Sieg errungen habt.“ „Katera Chodeh – Gott sei Dank, es ist so!“ „Wo sind deine Gefangenen?“ Der Melik deutete auf uns und der andere musterte uns mit finsteren Blicken.
Dann fragte er: „Welcher ist der Bej von Gumri?“ „Dieser.“ „So!“, sagte gedehnt der Riese. „Also dieser Mann ist der Sohn des Würgers unserer Leute, der sich Abd el Summit Bej nannte? Gott sei Dank, dass du ihn gefangen hast! Er wird die Sünden seines Vaters zu tragen haben.“ Der Bej hörte diese Worte, ohne sie einer Entgegnung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten, diesem Mann eine falsche Vorstellung von uns zu lassen. Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der Frage: „Melik, wer ist dieser Bekannte von dir?“ „Es ist der Raïs von Schurd.“ „Und wie heißt er?“ „Nedschir Bej.“
Auszug aus 'Durch das wilde Kurdistan' von Karl May
Interessant, es in diesen Tagen wieder zu lesen ...
Der Boden ist außerordentlich fruchtbar, aber die ewige Unsicherheit benimmt den Bewohnern die Lust, eine Ernte für ihre Feinde heranzuziehen. Dagegen kamen wir an prächtigen Eichen- und Walnusswäldern vorüber, die hier in einer Kraft und Frische gediehen, wie sie sonst nicht häufig anzutreffen sind. Wir hatten eine Vor- und eine Nachhut und wurden von dem Haupttrupp ringsum eingeschlossen. Mir zur Rechten ritt der Bej und zur Linken der Melik. Dieser aber sprach nur wenig; er hielt sich bei uns jedenfalls nur des Bejs wegen auf, der ein kostbarer Fang für ihn war und den er nicht aus dem Auge lassen wollte.
Höchstens eine halbe Stunde hatten wir noch bis Lisan zu reiten, als uns ein Mann entgegenkam, dessen Gestalt sofort in die Augen fallen musste. Er war von einem wirklich riesigen Körperbau und auch sein kurdisches Pferd gehörte zu den stärksten, die ich jemals gesehen hatte. Bekleidet war er nur mit weiten Kattunhosen und einer Jacke aus demselben leichten Stoff. Ein Tuch bedeckte anstatt des Turbans oder der Mütze seinen Kopf und als Waffe diente ihm eine alte Büchse, die jedenfalls nicht orientalischen Ursprungs war. Hinter ihm ritten in ehrerbietiger Entfernung zwei Männer, die in dienstlichem Verhältnis zu ihm zu stehen schienen.
Er ließ die Vorhut an sich vorüber und hielt dann bei dem Melik an. „Sabbah’l kher – guten Morgen!“, grüßte er mit volltönender Bassstimme. „Sabbah’l kher!“, antwortete ihm auch der Melik. „Deine Boten“, fuhr der Ankömmling fort, „sagten mir, dass ihr einen großen Sieg errungen habt.“ „Katera Chodeh – Gott sei Dank, es ist so!“ „Wo sind deine Gefangenen?“ Der Melik deutete auf uns und der andere musterte uns mit finsteren Blicken.
Dann fragte er: „Welcher ist der Bej von Gumri?“ „Dieser.“ „So!“, sagte gedehnt der Riese. „Also dieser Mann ist der Sohn des Würgers unserer Leute, der sich Abd el Summit Bej nannte? Gott sei Dank, dass du ihn gefangen hast! Er wird die Sünden seines Vaters zu tragen haben.“ Der Bej hörte diese Worte, ohne sie einer Entgegnung zu würdigen; ich aber hielt es nicht für geraten, diesem Mann eine falsche Vorstellung von uns zu lassen. Darum wandte ich mich nun an den Anführer mit der Frage: „Melik, wer ist dieser Bekannte von dir?“ „Es ist der Raïs von Schurd.“ „Und wie heißt er?“ „Nedschir Bej.“
Auszug aus 'Durch das wilde Kurdistan' von Karl May
Interessant, es in diesen Tagen wieder zu lesen ...
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